3-2017
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
in der Ausgabe 3/2017 von Inklusion-Online m?chten wir einen vielperspektivischen Blick auf Inklusion werfen. Dazu haben wir KollegInnen verschiedener Disziplinen der LehrerInnenbildung versammelt und sie gebeten, das Themenfeld Inklusion aus der Sicht des spezifischen Diskurses ihrer Fachdisziplin sowie ihrer eigenen inklusionsspezifischen Zug?nge zu werfen. Dazu geh?ren verschiedene Fachdidaktiken der sozial-, geistes-, sowie mathematisch-naturwissenschaftlichen F?cher, der Sonderp?dagogik und der Berufliche Bildung. Die Beitr?ge stehen im Kontext des Promotionsprogramm ?Didaktische Forschung? an der Leibniz Universit?t Hannover, in dessen Rahmen StipendiatInnen und Kollegmitglieder zu gesellschaftlichen Herausforderungen von Teilhabe, Diversit?t und Partizipation im Kontext von ?Citizenship in inklusiven Gesellschaften? arbeiten. Methoden der Lehr-Lern-Forschung integrieren hierbei subjektorientierte Zug?nge zu Lernendenvorstellungen. So kann multiperspektivisch ein Verst?ndnis von Inklusion als disziplinenspezifische und -?bergreifende Chance, Herausforderung und Entwicklung in Schule und Bildung herausgearbeitet werden.
Das Promotionskolleg ?Didaktische Forschung? ist zudem Bestandteil des 2017 gegr?ndeten Leibniz Forschungszentrums ?Inclusive Citizenship? an der Leibniz Universit?t Hannover. In diesem Kontext, sowie im Rahmen des Projekts ?Leibniz-Prinzip? der Qualit?tsoffensive LehrerInnenbildung, welches die F?rderung reflektierter Handlungsf?higkeit in der LehrerInnenbildung zum Ziel hat, verkn?pfen die AutorInnen in den vorliegenden Beitr?gen ihre interdisziplin?ren Arbeitszusammenh?nge. Die AutorInnen fokussieren vor diesem Hintergrund Herausforderungen, die sich in Ihrer Fachdisziplin f?r die Umsetzung von Inklusion in Theorie, Unterrichtspraxis und Ausbildung angehender LehrerInnen bietet, jedoch auch spezifische Konzepte und Handlungsm?glichkeiten, die in den jeweiligen Disziplinen entwickelt und diskutiert werden. Den Leserinnen und Lesern bietet sich damit die M?glichkeit f?r einen inklusionsspezifischen Einblick in verschiedene LehrerInnenbildungsdisziplinen.
Annika Bierwirth, Gabriele Blell und Stefanie Fuchs zeigen im Beitrag der Englischdidaktik werden zun?chst diskursbestimmende Facetten von Diversit?t im gegenw?rtigen Fremdsprachenunterricht auf, die f?r die Gestaltung eines inklusiven Englischunterrichts zu ber?cksichtigen. Darauf aufbauend wird ein Beispiel aus der inklusiven Unterrichtspraxis einer 8. Klasse skizziert (Welcome to NY! - Ellis Island) sowie erste empirische Ergebnisse aus einer Erhebung von Pr?konzepten bei Sch?ler*innen zum Thema Understanding Unfamiliar Words vorgestellt (ebenfalls 8. Klasse).
Thomas Gawlick und Anne Hilgers arbeiten ausgehend von einem ?berblick ?ber aktuelle Forschungsans?tze und Spannungsfelder der Mathematikdidaktik die besonderen Anforderungen f?r einen inklusiven Mathematikunterricht heraus. Sie stellen daf?r mit dem Bielefelder Konzept zur Diagnose und F?rderung bei Rechenschw?che einen wichtigen Baustein vor und erl?utern am konkreten Beispiel den Hannoveraner Ansatz zur Vermittlung dieses Konzepts bereits in der ersten Phase der Lehrerausbildung.
Julia Gillen und Jana Wende richten ihr Augenmerk auf die berufliche Bildung und geben einen ?berblick ?ber den gegenw?rtigen Stand in den drei zentralen Kontexten der Berufsorientierung, des ?bergangs von der Schule in den Beruf bis hin zur dualen Berufsausbildung. Anschlie?end beleuchten sie genauer die diskursbestimmenden, etablierten Konzepte der beruflichen Bildung in Werkst?tten und an Produktionsschulen und dem gegen?ber die modernen Konzepte der Bildungsgangarbeit und des Individualisierten Lernens. Als Spannungsfelder auf der Ebene des Bildungssystems skizzieren die Autorinnen die spezifischen F?rderma?nahmen am ?bergang Schule Beruf sowie die Marktsteuerung der dualen Berufsausbildung und diskutieren, inwiefern diese wirklich inkludierend oder nicht vielmehr exkludierend sind. Als Herausforderung in der Lehre und Unterrichtspraxis gehen die Autorinnen insbesondere auf die Einstellungen und Haltungen der Lehrenden ein und verweisen in ihrer Schlussbetrachtung auf die Potentiale einer inklusiven Berufsausbildung.
Alice Junge und Bettina Lindmeier stellen in ihrem Artikel die Bedeutsamkeit von inklusiven Lernerfahrungen in der ersten Phase der Lehrerbildung f?r die Entwicklung einer professionellen Haltung heraus. Beschrieben wird dazu zun?chst das besondere Seminarkonzept, welches den Studierenden des Fachs Sonderp?dagogik solche Lernarrangements bietet. Aus den Ergebnissen des dazu durchgef?hrten qualitativ-rekonstruktiven Forschungsprojekts lassen sich erste Konsequenzen f?r eine inklusionssensible Lehrerbildung formulieren.
Malte Kleinschmidt fokussiert insb. den f?r die politische Bildung zentralen den Begriff Citizenship und leitet daraus die Forschungsperspektive Inclusive Citizenship. Ziel ist es, mit dem Ansatz von Inclusive Citizenship einen Impuls f?r einen herrschaftskritischen, dynamischen und hegemonietheoretisch fundierten Begriff von Inklusion herauszuarbeiten.
Vor dem Hintergrund der Aktivit?ten im Bereich des Sachunterrichts und der inklusiven Didaktik beleuchten Maren Oldenburg und Claudia Schomaker die Anbahnung von F?higkeiten zum sensiblen Umgang mit und Wahrnehmen von Diversit?ten Lernender mit Fallbeispielen. Unter R?ckgriff auf das Modell der didaktischen Rekonstruktion wird das Ziel einer (Weiter-)Entwicklung des Konzepts Reflektierter Handlungsf?higkeit fokussiert. Dabei sind insbesondere die Auseinandersetzungen der Studierenden mit Aussagen und Erfahrungen zum gemeinsamen Lernen von Sch?lerInnen inklusiver Schulklassen von Bedeutung, die sowohl in Bezug zu den eigenen Professionalit?tsvorstellungen ?ber den LehrerInnenberuf gesetzt, als auch im Hinblick auf eigene biographische Erlebnisse reflexiv bearbeitet werden.
Aus Sicht der Germanistik thematisieren Kristin Tschernig und My Hanh Vo Thi die Rolle von Sprache f?r die Inhalte des Faches und das Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts. Dabei besteht das Ziel darin, einen Fachunterricht zu gestalten, der allen Sch?lerInnen die (sprachliche) Teilhabe erm?glicht. Der sprachsensible Fachunterricht als zentrales Konzept wird nach einem exemplarischen Blick in ausgew?hlte F?cher in seinen Grundz?gen dargestellt.
Malte Walkowiak und Andreas Nehring skizzieren Problemstellungen des Diskurses um Inklusion innerhalb der Naturwissenschaftsdidaktiken. Es zeigt sich, dass ? trotz der Spezifik der naturwissenschaftlichen Unterrichtsf?cher - zahlreiche Elemente naturwissenschaftsdidaktischer Theorien und unterrichtsrelevanter Entwicklungen geeignet sind, die Herausforderungen inklusiven naturwissenschaftlichen Lernens zu fokussieren, aber weiterentwickelt und implementiert und erprobt werden m?ssen. Desiderate in den Bereichen der Forschung und der Implementation in die Praxis werden benannt und diskutiert.
Wir w?nschen Ihnen eine anregende Lekt?re.
Andreas Nehring und Dirk Lange
Gastherausgeber