3-2016
Geht es im Kontext des Inklusionsprozesses um gesamtgesellschaftliche Ver?nderungsprozesse, r?cken damit unweigerlich auch die Kulturph?nomene Bewegung, Spiel und Sport in den Fokus der Betrachtung. Der Sport gewinnt als gesellschaftlich relevantes, sich wandelndes Handlungsfeld in wachsendem Ma?e an Bedeutung ? man denke beispielsweise an die virale Zunahme medialer Berichterstattung sportlicher Gro?ereignisse (Horky & Nieland, 2013), den anhaltenden Fitnessboom (Andreasson & Johansson, 2014) oder auch die immer gr??ere Popularisierung von Sportbekleidung und sportlichem Habitus als modischem Trend (Alkemeyer & Schmidt, 2003). In einer scheinbar gleicherma?en immer k?rperloser sowie zunehmend diffus werdenden Alltagswelt r?ckt der K?rper und mit ihm k?rperliche Praxen aus dem Kontext des Sports vermehrt in den Fokus gesellschaftlicher Individuen. Die eigene K?rperkultur wird vielfach zu einem identit?tsstiftenden Projekt. Gesellschaftliche Ver?nderungen im Sinne von Inklusion sind von daher sicherlich auch auf der Folie des Sports zu reflektieren.
Bislang wird Inklusion im deutschen Sprachraum nach Herz (2014, S. 7) jedoch vor allem als schulische Strukturdebatte diskutiert. In diesem Themenheft soll von daher unter dem Titel Sport und Inklusion der Blick explizit geweitet werden, indem m?glichst vielf?ltige Facetten von Bewegung, Spiel und Sport aus einer inklusiven Perspektive diskutiert werden. Entsprechend kommen neben grundsatztheoretischen Beitr?gen zu alternativen Forschungsparadigmen, zur Relevanz von Mehrperspektivit?t und zum (sportlichen) Leistungsbegriff gleicherma?en ?berlegungen zum Leistungssport, zum Vereinssport, zum informellen Sport, zum Schulsport sowie zur sog. Betroffenenperspektive zur Sprache.
Dabei zeichnet sich der Sport im Kontext der Inklusionsthematisierung durch ein spezifisches ihm eigenes Spannungsverh?ltnis aus: Einerseits wird ihm ? beispielsweise im Positionspapier des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und der Deutschen Sportjugend (DSJ) zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen (2013, S. 12) ? gemeinhin ein hohes Inklusionspotential zugeschrieben, andererseits ist dieses jedoch wissenschaftlich kaum belegt. Zudem werden im gesellschaftlichen Handlungsfeld ?Sport? zentrale Aspekte wie Leistung, K?rperlichkeit, Fitness und Gesundheit, die zweifellos zum ?Markenkern des Sports? geh?ren, ?ffentlich aufgef?hrt und gesellschaftlich inszeniert. Diesen Inszenierungen ist jedoch auch ein exkludierendes Potential zu attestieren; durch sie wird der Sport besonders anf?llig daf?r, beispielsweise Menschen mit Behinderungen zu exkludieren, wenn sie sich dem sportlichen Leistungs- und Gesundheitsdiktat nicht unterwerfen (Giese, 2016; Ruin, 2014).
In diesem Sinne erm?glicht die Besch?ftigung mit der Differenzlinie Behinderung vor dem Hintergrund der aktuellen Inklusionsprogrammatik den kritischen Blick daf?r, auch nach Inklusionshemmnissen im Sport, der Sportwissenschaft sowie der Sportp?dagogik zu suchen (Giese & Ruin, 2016). Dabei soll jedoch nicht ignoriert werden, dass Behinderung gewiss nur eine Heterogenit?tskonstruktion darstellt und Inklusion ebenso selbstverst?ndlich nicht als ein exklusives Thema der Behindertenp?dagogik zu lesen ist. In konstruktiver Diktion gilt es zudem, neben Inklusionshemmnissen auch M?glichkeiten und Potenziale der gleichberechtigten Teilhabe Aller am vielf?ltigen Kulturph?nomen Sport und damit einem wichtigen gesellschaftlichen Teilbereich in den Blick zu nehmen.
Entsprechend gehen die Beitr?ge des Themenhefts Sport und Inklusion in einem allgemeinen Teil zun?chst grundlegenden Facetten des Kulturph?nomens Bewegung, Spiel und Sport nach: Ausgehend von grundsatztheoretischen Fragestellungen vor dem Hintergrund sportsemiotischer ?berlegungen (Giese) und der Diskussion der Relevanz von Mehrperspektivit?t als gewinnbringendes didaktisches Prinzip in inklusiven Settings (Ruin & Meier) geht es um die Frage nach einem inklusions-kompatiblen Leistungsverst?ndnis im Sport (Meier, Haut & Ruin). Im Kontext des schulischen Bereichs pl?dieren die Beitr?ge f?r einen terminologischen Anschluss an die international gef?hrten Debatten um Adapted Physical Education (Giese, Kiuppis & Baumert), befassen sich mit Fragen zum Wandel der sonderp?dagogischen Professionalit?t im Fach Sport (Brand, Rischke & Zimlich) und diskutieren die ?bertragbarkeit internationaler sportdidaktischer Modelle auf den Inklusionsdiskurs in der deutschsprachigen Sportp?dagogik (Tiemann). Im au?erschulischen Bereich thematisieren die Beitr?ge den Behindertenleistungssport, den informellen Sport sowie den Vereinssport. Werden in diesem Sinne zun?chst die Folgen der UN-BRK f?r den sog. Behindertenleistungssport beleuchtet (Radtke), wird daran anschlie?end das inklusive Potential des informellen Sports in den Blick genommen, indem diskutiert wird, welche Relevanz die Sprachbeeintr?chtigung Stottern f?r das au?erschulische Sporttreiben von betroffenen Menschen hat (Bindel & Erdmann). Die Thematisierung des au?erschulischen Bereichs schlie?t mit ?berlegungen, wie erfolgreiche Inklusionsstrategien im Vereinssport aussehen k?nnen (Seitz, Meier & Adolph-B?rs) und mit einer nutzenfokussierten Evaluationsstudie am Beispiel einer inklusiven Handballinitiative (Greve). Abschlie?end liefert ein Beitrag aus der sog. Betroffenenperspektive (Sauerbier) gewinnbringende Einblicke in die Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur und sensibilisiert in diesem Sinne ? aus einer im Sport bisher komplett ignorierten Perspektive ? f?r systemimmanente Inklusionshemmnisse, die es zuk?nftig zu ?berwinden gilt.
Martin Giese & Sebastian Ruin
LiteraturAlkemeyer, T. & Schmidt, R. (2003). Habitus und Selbst. Zur Irritation der k?rperlichen Hexis in der popul?ren Kultur. In T. Alkemeyer, B. Boschert, R. Schmidt & G. Gebauer (Hrsg.), Aufs Spiel gesetzte K?rper. Auff?hrungen des Sozialen in Sport und popul?rer Kultur (S. 77-102). Konstanz: UVK.
Andreasson, J., and T. Johansson. (2014). ?The Fitness Revolution. Historical Transformations in the Global Gym and Fitness Culture.? Sport Science Review XXIII 3?4, 91?112.
Deutscher Olympischer Sportbund & Deutsche Sportjugend (2013). Inklusion leben. Gemeinsam und gleichberechtigt Sport treiben. Positionspapier des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und der Deutschen Sportjugend (dsj) zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen. DOSB: Frankfurt a.M.
Giese, M. (2016). Inklusive Sportp?dagogik. Kritische ?berlegungen zu einer anthropologischen Fundierung, Sportwissenschaft, DOI: http://dx.doi.org/10.1007/s12662-015-0382-z
Giese, M., & Ruin, S. (2016). Forgotten bodies ? an examination of physical education from the perspective of ableism. Sport in Society. DOI: http://dx.doi.org/10.1080/17430437.2016.1225857
Herz, B. (2014). P?dagogik bei Verhaltensst?rungen: An den Rand gedr?ngt? Zeitschrift f?r Heilp?dagogik, 65 (1), 4-14.
Horky, T. & Nieland, J.-U. (Hrsg.). (2013). International Sports Press Survey 2011 - quantity and quality of sports reporting. Norderstedt: Books on Demand.
Ruin, S. (2014). Fitter, ges?nder, arbeitsf?higer ? Die Verengung des K?rperbildes in Sportlehrpl?nen im Zuge der Kompetenzorientierung. Zeitschrift f?r Sportp?dagogische Forschung, 2 (2), 77-92.